Ein Baumberger Kalksandstein erzählt!

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Zuerst einmal etwas zu mir, Kalziumcarbonat, Quarz, Feldspat, und Glaukonit vermischten sich in unterschiedlichen Mengen, vor Urzeiten im Münsterländer Kreidebecken zu einer homogenen Masse, … ganz tief unten. Dann lastete unzählige Jahrtausende, ein gewaltiger Druck auf mir.

Deshalb bin ich so geworden, wie ich heute bin, von diesem Druck nun seit kurzem befreit macht dies die Sache für mich nicht leichter, wie der geneigte Leser nun fälschlicherweise denken könnte, denn seitdem geht es steil bergab mit mir!

Millionen Jahre von schützenden Steinschichten, von einer beruhigenden Dunkelheit umgeben, kein Wetter konnte mir etwas anhaben, die Temperaturen um mich herum, immer gleich bleibend angenehm warm und dann eines Tages werde ich freigelegt.

Wie schon so viele Sandsteine vor mir, seit über tausend Jahren werden wir nun schon hier in der Nähe von Billerbeck abgebaut, zum Bau des Kölner Doms wurden wir schon verwendet und bei anderen großartigen Bauwerken, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.

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Großartige Skulpturen entstanden aus uns … und ich, … ich wurde auf einen großen Haufen von Bruchsteinen geworfen, … was für eine Verschwendung, von berühmter Künstlerhand bearbeitet zu werden, das war meine Bestimmung, … eigentlich!

Ein Steineinkäufer kam, erwarb uns und man hörte, wir würden an, „künstlerisch begabte Hobbybildhauer“ verkauft, jedenfalls derer persönlicher Überzeugung nach.

Allerdings wurde gemunkelt, mit ganz viel Glück, würde man auch von einem Künstler erstanden der die schönsten Skulpturen aus einem erschaffen würde.

Um es kurz zu machen, dieses Glück hatte ich, Ulla Preising, eine Künstlerin aus Wiehl, hat mich nach ausreichender Prüfung, Vermessung, (meine Maße 43 x 25 x 21 cm), Begutachtung und nicht ohne mich zuvor von allen Seiten fotografiert zu haben, eingepackt und mit zu sich nach Hause genommen.

Ein bisschen freute ich mich schon darauf, von zarter Damenhand, von einer Künstlerin gar, bearbeitet zu werden. Das befürchtete, ach so schwere Los, die Bürde wurde leichter zu tragen.

Besser allemal, als in einem Steinbrecher geworfen, zermahlen, gesiebt und als Kalksandsteinsplitt in einen Vorgarten geschüttet, verteilt und in regelmäßigen Abständen von Unkrautvernichtungsmitteln übergossen zu werden.

Nun, bevor ich mich richtig versah, lag ich auf einem Bildhauerbock in Wiehl/Drosselhardt, der Heimat von DrosselArt, eine von Ulla’s künstlerischen Wirkungsstätten.

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Neben mir auf einem weiteren Bock, ebenfalls ein Kalksandstein, etwas weiter weg, ein teilbearbeiteter Marmorkiesel, der sich etwas darauf einbildete in „Azzano“, nicht weit entfernt von Carrara aus dem Fluss gefischt worden zu sein.

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Nicht genug, dass wir seine Herkunftsgeschichte, nebst seinem fürchterlichen italienischen Akzent ertragen mussten, fing er an Horrorgeschichten über unser bevorstehendes Schicksal zu erzählen.

Unsere Bestimmung war wohl, unsere Naturschönheit auf dem Altar der Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, alternder, Möchtegernbildhauer zu opfern.

Nun lag ich da, starr, völlig verängstigt und harrte der Dinge, die das Schicksal für mich auserkoren hatte.

Es wurde Samstag, der 15. August war es, ein großer, dicker Langhaariger mit Dreiviertelglatze kam, nahm mich hoch, betrachtete mich voller Skepsis von allen Seiten und sah ratlos auf mich herab.

Zum Glück kann ich keine Gedanken lesen. Jedenfalls spontane Freundschaft war es nicht zwischen uns. Schon der Gedanke daran, dass der mich behauen würde, brachte den 3 %igen Anteil von Feldspat in mir in Wallung.

Nun, das Werkzeug wurde herbeigeholt, ich wurde weich auf ein Sandsackpolster gebettet und weiterhin mit ratlosem Blick gemustert.

Ulla kam dazu und versuchte, mich meinem neuen Besitzer schmackhaft zu machen, sie sah Gesichter, konvexes, konkaves und was weiß ich noch alles, aber ohne großen Erfolg. Irgendwann einmal konnte sie ihn dazu bewegen, erst einmal eine Seite von mir zu glätten. Merklich missmutig begann er mit dem Spitzeisen und dem Fäustel auf mir herum zu hämmern.

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Von Motivation, Schaffensfreude und Inspiration war nichts zu spüren, ich bemerkte wie ich tief in meinem Inneren begann, meine als Kalksandsteinsplitt im Vorgarten liegenden Verwandten zu beneiden.

Meine erste Seite war halbwegs geglättet, ich wurde umgedreht, mein Bearbeiter immer noch voller Unlust, schlug weiter, immer mehr resignierend auf mich ein, wieder umgedreht und weiter ging es.

Eine Kante wurde angelegt, natürlich wurde ich zwischenzeitlich immer wieder auf meine Eignung zu irgendetwas Sinnmachendem untersucht. Auf jede Ecke und Kante wurde ich gestellt, aber bis dahin ohne Erfolg. Ideen von Durchdringungen und ähnlich hanebüchenem brachten mich fast um den Verstand.

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Doch nun, nach anlegen der Kante, wieder einmal, zum gefühlten hundertsten Mal, wurde ich auf die Spitze gestellt, die italienischen Marmorbehauende und dereinst den Marmorkiesel in Azzano, unweit Carrara aus dem Fluß klaubende, Marie mit Namen, hielt mich in Position, während ich von meinen genervten Eigner und Ulla mehrmals mit kritischem Blick umkreist wurde.

Da plötzlich die Miene meines Besitzers wurde freundlicher, die senkrechten, tiefen Falten auf seiner Stirn, waren fast verschwunden und er verkündete der Allgemeinheit bedeutungsvoll, den tief in ihm gereiften Entschluss eine Nase zu erschaffen.

 

Ulla natürlich, … wie Frauen eben sind, hat sofort darauf hingewiesen, dass sie von vorne herein ein Gesicht in mir gesehen hätte. Nun ja, stimmt, aber doch ganz sicherlich nicht das Gesicht, das nun entstehen sollte, da würde ich mein linkes Auge dafür verwetten.

Vor lauter Aufregung hat mein Bearbeiter in der Folge sogar vergessen, den Fortschritt meiner Bearbeitung  und Verwandlung in Bildern zu dokumentieren. Zuvor wurde alle 5 Minuten die Kamera gezückt.

Die Nase war bald erschaffen, wenige Minuten später gab es schon eine äußerst gelungene Andeutung eines Munds, die Augen wurden vorsichtig mit dem Bleistift aufgezeichnet und ich hatte Form bekommen.

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Sag mir keiner mehr etwas Negatives über alternde Möchtegernbildhauer, meiner muss in der Richtung begnadet sein, mindestens, wie ich den bewundernden Blicken der anderen Kursteilnehmerinnen auf mich entnehmen konnte.

Feierabend, der Samstag ist vorbei.

Rundum glücklich, mit meinem Aussehen, meiner Form, mit meiner Verwandlung zufrieden, liege ich da auf meinem Sandkissenpolster, höre bis tief in die Nacht, noch das Gelächter und die  Unterhaltungen der bei Ulla übernachtenden Kursteilnehmerinnen.

23 Uhr, endlich ist Ruhe!

Es ist Sonntagmorgen, es beginnt zu regnen, „Mein Bildhauer“ kommt,  mit Filtertüten für die Kaffeemaschine, Brötchen und Croissants für die Mädels, aber zuallererst sieht er nach mir, streicht mir mit der Hand zart über die eine Wange, was ein toller Typ, … und geht danach … zu den Mädels, Kaffee trinken!

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Hochmotiviert kommt er gefühlte Stunden später zurück und macht sich an die Arbeit, ich werde behauen, geraspelt, geschmirgelt, geglättet, das Auge wird angelegt, der Mund noch vorsichtig bearbeitet und Schwupp di Wupp bin ich vollendet.

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Von allen Seiten werde ich danach bestaunt, befühlt, bewundert und bin rundum zufrieden mit meinem Verlauf des Wochenendes. Ein Name wurde für mich wurde plötzlich von Marie ins Spiel gebracht. Der schöne Fremde, damit kann ich leben.

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Nun bin ich zu Hause bei meinem Erschaffer in Morsbach angekommen, ein geeigneter Präsentationssockel, der meine Vorzüge, meine einzigartige Schönheit und Vollkommenheit hervorhebt und unterstreicht, muss noch geschaffen, der geeignete Aufstellungsort für mich noch gefunden  werden.

 

Doch da habe ich in „Meinen Bildhauer“ uneingeschränktes Vertrauen. Aber das wird eine andere, eine neue Geschichte.

-Ende-